Bertas Brote – Eine fiktive Dokumentation
Stadtteilgeschichte als Theater im öffentlichen Raum
Vom Jetzt zum Früher und zurück – Recherche in der Vergangenheit des Stadtteils für die Stückentwicklung
Den großen Platz vor dem Luna Center in der Nähe des S-Bahnhofes Wilhelmsburg – auf dem es immer so zieht, der mit den Holzwellen auf denen man sitzen kann, wo dienstags und freitags Wochenmarkt ist und der Kiosk mit den Naschies um die Ecke – kennt jedes Kind im Stadtteil. Den Namen des Platzes kannte kaum jemand. Das hat sich geändert. Der Platz heißt Berta-Kröger-Platz. Wer war Berta Kröger?
Diese Frage war der Ausgangspunkt für die Arbeit aller Gruppen. Von hier aus haben sich die über 70 Beteiligte aus den 3 Schulen des Bildungszentrums forschend in die Vergangenheit ihres Stadtteils begeben, persönliche und aktuelle Bezüge wurden hergestellt und die Grundschritte des Swingtanzes LindyHopp gelernt. Die Suche nach wahren Geschichten begann. Wir erfuhren, dass Berta Kröger vor über 80 Jahren im Stadtteil Wilhelmsburg gelebt hat, dass sie SPD Politikerin war und eine Bäckerei am Vogelhüttendeich betrieb, dass es bereits damals Frauen gab, die sich entgegen der festgelegten Rollenbilder definierten - Frauen, die sich einmischten, ihre Meinung vertraten, sich Gehör verschafften. Berta Kröger war resolut. Das machten die Abschriften der Originalreden von Berta Kröger deutlich. Die Reden hat uns die Hamburger Senatskanzlei für das Projekt zur Verfügung gestellt. Weiteres historisches Material zur Geschichte Wilhelmsburgs und zum Leben unter der Machtherrschaft des Nationalsozialismus lieferten uns die Wilhelmsburger und Harburger Geschichtswerkstätten. Eine Expertin, die sich seit Jahren mit der Swing-Bewegung beschäftigt, versorgte uns mit Buch-, Zeitungs- und Fotomaterial zur Geschichte der Hamburger Swingjugend.
Für die beteiligten Jugendlichen war diese Swingjugend besonders interessant. Die Bewegung war zunächst unpolitisch. Die jungen Menschen drückten nämlich ihren Widerspruch zum Nationalsozialismus nicht durch politische Reden, sondern durch zivilen Ungehorsam aus, indem sie offen eine andere als die nationalsozialistische Jugendkultur lebten. In Wilhelmsburg traf sich die „Pfennigbande“ mit Grammophon am Flakturm in der Neuhöferstraße. Sie hörten und tanzten Swing auf Straßen und Hausdächern. Back Stepp Kick Kick.
Widerstand kann viele verschiedene Gesichter haben. Die Schüler*Innen, die meisten von ihnen mit Migrationshintergrund, spielten aber auch die Rollen der nationalsozialistischen Gegenspieler aus der Hitlerjugend. Dies bedeutete für sie eine Annäherung an deutsche Geschichte in besonderer Weise, da sie sich spielerisch mit Feindbildern auseinandersetzten.
Bei der Recherchearbeit und den Proben auf dem Berta-Kröger-Platz wurden wir im Stadtteil deutlich wahrgenommen. In den von Kindern durchgeführten Interviews mit Passanten*Innen wurde klar, dass wirklich kaum jemanden die Namensgeberin des Platzes kannte. Die Kinder lernten viele Stadtteilbewohner*Innen kennen und erhielten interessierte Nachfragen.
Die Zusammenarbeit mit der von TAS eigens für die Produktion zusammengestellten Band aus 4 stadtbekannten Hamburger Jazzmusikern war herausragend, weil sie einen direkten emotionalen Zugang zur Vergangenheit und einen nonverbalen roten Faden herstellte.
Die vielen einzelnen in den Gruppen entstandenen Szenen inhaltlich miteinander zu verbinden und komplexer zu machen war der nächste große Arbeitsschritt von Theater am Strom.
Die Koordination und die Umsetzung der Endproben mit 5 Gruppen und Jazzband bei Sturmwetter auf dem Berta-Kröger-Platz war Herausforderung und Höhepunkt des Projekts. Das Zusammenwirken aller Beteiligten bei den Aufführungen am Premierentag erreichte ein großes Publikum und verwandelte den großen Platz, auf dem es immer so zieht, in einen Theaterort mit lebendiger Geschichte.
Berta hätte ihre Freude gehabt und mitgetanzt....
Nur der von vielen Gesprächsteilnehmern gewünschte Kiosk und die Uhr auf dem Platz fehlen noch...
